Made in Europe: Rückverlagerung von Produktionsstätten im Aufwind
Globale Lieferketten unter Druck, geopolitische Unsicherheiten und steigende Nachhaltigkeitsanforderungen sorgen für eine Trendwende in der Industrie: Die Rückverlagerung von Produktionskapazitäten nach Europa – das sogenannte Nearshoring – nimmt Fahrt auf. Was einst als Effizienzmaßnahme galt, wird heute zur strategischen Notwendigkeit.
Vom Offshoring zum Nearshoring: Eine neue Realität
In den vergangenen Jahrzehnten verlagerte die europäische Industrie Produktionsprozesse vor allem aus Kosten- und Skalierungsgründen nach Asien. Niedrigere Löhne, große Fertigungskapazitäten und schlanke Lieferketten galten lange als Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg.
Doch spätestens seit der COVID-19-Pandemie, dem Krieg in der Ukraine und anhaltenden Spannungen im chinesisch-amerikanischen Verhältnis ist klar: Globale Lieferketten sind anfällig – und politische Risiken sind zu betriebswirtschaftlichen Risiken geworden.
Gründe für den Wandel:
- Lieferkettenresilienz: Unternehmen erkennen, wie kritisch es ist, Kontrolle über die eigene Versorgung zu behalten. Kurze Transportwege bedeuten weniger Abhängigkeit und schnellere Reaktionsfähigkeit.
- Kostenneutralität durch Automatisierung: Moderne Fertigungstechnologien (z. B. Robotik, KI, additive Fertigung) machen die Produktionskosten in Europa wieder wettbewerbsfähig.
- Nachhaltigkeit & CO₂-Reduktion: Kurze Lieferwege, strengere Umweltstandards und ein wachsender Druck durch ESG-Richtlinien machen Nearshoring auch aus Klimasicht attraktiv.
- Fachkräftemangel als Chance für Umschulung & Innovation: Während in vielen Billiglohnländern zunehmend qualifiziertes Personal fehlt, investieren europäische Unternehmen in Aus- und Weiterbildung – mit langfristigem Mehrwert.
Chancen für lokale Zulieferer und Mittelstand
Insbesondere für Zulieferbetriebe in Ländern wie Polen, Tschechien, Slowenien, Portugal und auch Deutschland entstehen durch den Nearshoring-Trend neue Möglichkeiten. Unternehmen, die flexibel agieren, hohe Qualitätsstandards erfüllen und technologische Kompetenz mitbringen, werden künftig stärker nachgefragt.
Beispiel:
Ein führender europäischer Hersteller von Haushaltsgeräten hat 2024 angekündigt, Teile seiner Komponentenfertigung aus China zurück nach Ungarn und die Slowakei zu verlagern – mit dem Ziel, die Lieferzeiten zu halbieren und die Emissionen pro Produkt um 20 % zu senken.
Politische Impulse: EU-Förderung und strategische Autonomie
Auch die Politik unterstützt die Rückverlagerung. Die EU-Kommission hat mit dem „Net-Zero Industry Act“ und Initiativen wie dem European Chips Act Rahmenbedingungen geschaffen, um Schlüsselindustrien in Europa zu halten oder zurückzuholen. Ziel ist es, strategische Autonomie zu sichern – insbesondere in Sektoren wie Mikroelektronik, Batterietechnologie und kritische Rohstoffe.
Fazit: Rückverlagerung als strategische Investition
Was früher eine Reaktion auf Krisen war, wird zunehmend zum strategischen Umdenken: Produktion in Europa wird wieder attraktiv – nicht trotz, sondern wegen steigender Anforderungen. Unternehmen, die jetzt investieren, stärken nicht nur ihre Widerstandsfähigkeit, sondern positionieren sich als nachhaltige, innovative Akteure auf dem globalen Markt.
Übersicht der Hauptgründe für Nearshoring
- Lieferkettenresilienz: Weniger Abhängigkeit, höhere Reaktionsgeschwindigkeit
- Kostenparität durch Technologie: KI, Robotik & Automation gleichen Lohnkostenvorteile aus
- Nachhaltigkeit: Kürzere Wege, geringere Emissionen, ESG-Compliance
- Fachkräftemangel als Chance: Umschulung & Qualifizierung in Europa fördern Innovation
Politische Rahmenbedingungen in Europa
Ziel: Förderung klimaneutraler Industrie in Europa – inklusive Fördermechanismen für Rückverlagerung.
Ziel: Stärkung der Halbleiterproduktion in Europa, Rückführung kritischer Wertschöpfungsketten.
Beispiel Deutschland: Resilienzförderprogramme für mittelständische Industrieunternehmen.